Freitagspredigt

Ein Leben zwischen Furcht und Hoffnung

ِسْمِ اللهِ الْرَحْمٰنِ الْرَحِيمِ

وَلاَ تُفْسِدُوا فِي الارْضِ بَعْدَ اِصْلاَحِهَا وَادْعُوهُ خَوْفًا وَطَمَعًا اِنَّ رَحْمَتَ اللّٰهِ قَريبٌ مِنَ الْمُحْسِنِينَ

Bismillahirrahmanirrahim
[Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen]
“Und stiftet nicht Verderben auf Erden, nachdem sie in Ordnung gesetzt wurde. Und rufet Allah an (Seinen Zorn) fürchtend und (Seine Barmherzigkeit) erhoffend. Denn Allahs Barmherzigkeit ist denen, die Gutes tun, nahe.”

[Sure “Araf”, Vers  56]

Verehrte Muslime,

Furcht und Hoffnung sind zwei bedeutende Empfindungen, die den Seelenzustand des Menschen vor Gott bestimmen, sein Handeln beeinflussen und all seine guten charakterlischen Eigenschaften mitgestalten. Im Allgemeinen verspürt der Mensch Furcht vor etwas, das er nicht erleben will. Hoffnung hingegen ist das von Herzen gespürte Interesse an etwas, das man erreichen will.

Furcht vor Gott nun, ist die Furcht, die ein Mensch verspürt, der  seinem Schöpfer mit Hingebung und Liebe verbunden ist. Die Furcht eines Menschen, der fürchtet, nicht das Wohlgefallen seines Schöpfers zu finden, so wie ein Liebender fürchtet, seinen Geliebten zu kränken und damit dessen Liebe zu verlieren. Mit dem Unterschied einzig, dass die Furcht vor Gott stärker und tiefwirkender noch ist. Diese Furcht (chawf), die der Koran beim Menschen vorsieht, leitet den Menschen jedoch nicht zu Passivität und Hoffnungslosigkeit. Ganz im Gegenteil, sie dient der Besinnung des Menschen, auf dass er daran arbeitet, die Gründe für seine Furcht zu beheben.  Sie hält ihn ab von Handlungen, die ihm Höllenpein bringen können und lässt ihn die Gebote Gottes befolgen. Dies führt dann dazu, dass er ein vorbildlicher  Muslim wird. Denn diese Neigung, die mit Furcht anfängt, führt zur Vermeidung von schlechten Angewohnheiten (ittiqa) und damit zur Frömmigkeit und Ehrfurcht vor Gott (taqwa). Und dieser Zustand ist der höchste Rang, den ein gläubiger Mensch erreichen kann.

Verehrte Brüder und Schwestern,

was für ein Glück ist es doch für den Menschen, dass er bezüglich dessen, was ihn erwartet, im Voraus gewarnt wurde. Denn im Koran heißt es: “Fühlen sie sich denn in Sicherheit vor der Strafe Allahs. Nur diejenigen sind davor sicher, die verloren sind.” [1] Und unser Prophet sagte dereinst: “Keiner von den Gläubigen würde sich Hoffnung auf das Paradies machen, wenn sie den Grad des Zorns bei Allah wüssten. Und die Ungläubigen würden ihre Hoffnung auf die Barmherzigkeit Allahs nicht aufgeben, wenn sie wüssten, wie groß Seine Barmherzigkeit ist.” [2] Aus diesem Grund sollten sich Muslime niemals in Sicherheit wägen. Sie sollten vielmehr stets die Furcht in sich tragen, eines Tages den Zorn Allahs zu spüren, stets in einem Zustand zwischen Furcht und Hoffnung sein und die Barmherzigkeit Gottes sowie sein Paradies verlangen. Dazu gehört, dass er sich stets in Erinnerung hält, dass er eines Tages für seine Fehler und Sünden zur Rechenschaft gezogen wird.

Verehrte Gläubige,

wir dürfen nicht vergessen, dass Muslime nicht nur dazu verpflichtet sind, Ehrfurcht vor Allah zu haben, sondern ebenso die Hoffnung auf Ihn nicht zu verlieren. So heißt es hierzu im Koran: “Und rufet Allah an (Seinen Zorn) fürchtend und (Seine Barmherzigkeit) erhoffend. Denn Allahs Barmherzigkeit ist denen, die Gutes tun, nahe.” [3] – Oder auch: “Gebt die Hoffnung auf die Barmherzigkeit Allahs nicht auf.” [4] Denn Hoffnungslosigkeit verleitet den Menschen. Sie führt dazu, dass er sich nicht darum müht, sich zurecht zu richten, oder sich zu läutern.  Stets hoffnungsvoll zu sein hingegen, ist eine wichtige Eigenschaft des Gläubigen und gleichzeitig eine Messlatte für seinen Glauben. Im Maße seines Glaubens hofft der Mensch auf und von seinem Schöpfer und sehnt sich nach Seinen Verheißungen. Die Hoffnung hält dabei den Menschen nicht davon zurück, auf das von ihm erhoffte Ziel hinzuarbeiten und Sünden sowie das Verüben von Übel als unwichtig zu erachten. Ganz im Gegenteil bedeutet hier Hoffnung, erst alle Voraussetzungen zu erfüllen und sodann das Ergebnis von Gott zu erbeten.

Zusammenfassend sind Furcht und Hoffnung aus Sicht eines gläubigen Menschen beides Seelenzustände, die er tief in seinem Herzen verspüren muss. Ein Muslim sollte demnach stets die Furcht vor der Hölle und die Hoffnung auf das Paradies in sich spüren. Denn dies verschafft ihm die Möglichkeit ein Leben in Gleichgewicht zu führen.

Die heutige Predigt beende ich an dieser Stelle mit den Worten des Prophetengefährten Omar (r.a.), mit denen er uns eindrücklich schildert, in welchem Gemütszustand wir bezüglich Furcht und Hoffnung sein müssen: “Sollte verheißen werden, dass am Tage des Jüngsten Gerichts nur eine einzige Person ins Paradies kommen wird, so würde ich hoffen, dass ich diese Person bin. Und sollte verheißen werden, dass nur eine einzige Person in die Hölle kommt, so würde ich fürchten, dass ich diese Person bin.” Möge Allah uns das geben, das wir uns erhoffen und  vor dem schützen, vor dem wir uns fürchten.

[1] Araf, 7/99.
[2] Muslim, Tawba, 23.
[3] Araf, 7/56.
[4] Zumar, 39/53.
        
Mesut Özdemir
Religionsbeauftragter der  Yunus Emre-Moschee in Krefeld

2011-07-08    


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