Rubrik: Sonstiges
Der Gebetsruf (Adhan), der in den islamischen Ländern fünfmal am Tag vom Minarett öffentlich ausgerufen wird, lädt die Gläubigen zum Gebet in die Moschee bzw. zum Gebet vor Ort auf. Dabei werden Inhalte aus den Glaubensgrundsätzen mehrfach hintereinander melodisch rezitiert.
Der Ausruf, dass Allah (der eine Gott) groß ist, ist die Hauptaussage des Gebetsrufes, der eine spirituelle Einladung und ein Zeichen der Gebetsvorbereitung ist. Deshalb trägt der Gebetsruf in seiner Grundfunktion zur Stärkung der Religiosität bei und ist als solcher nicht nur legitim, sondern durch die Religionsfreiheit und das Grundgesetz garantiert. Denn im Sinne der religiösen Gleichbehandlung ist der Gebetsruf Teil der religiösen Praxis und macht die Religion sichtbar. Deswegen wird in manchen Moscheen in Deutschland seit ungefähr 30 Jahren zum Gebet ausgerufen. Oft wird behauptet, dass das Ausrufen des Adhan in der Öffentlichkeit über Lautsprecher nicht zulässig sei, da sie keine religiöse Verpflichtung darstellt.
Der Wortlaut der Sure 62, Vers 9 „Gläubige, wenn ihr zum Gebet gerufen werdet (…) dann eilt zu Allahs Gedenken“ spricht vom Ruf zum Freitagsgebet als eine Einladung an die muslimische Gemeinschaft, die sich – alles Weltliche hinter sich lassend – zum Gebet begeben soll. Daraus resultiert eine Verpflichtung zum Gebetsruf am Freitag, welche durch die prophetische Tradition (Sunna) auf die übrigen Gebetszeiten übertragen wird. Betrachtet man komplementär dazu die medinensische Zeit des Propheten, in der der Gebetsruf entstand und sich etablierte, so resultierte er aus der Notwendigkeit, alle Muslime zur selben Zeit in die Moschee zu rufen. In den (Wach-)Träumen von Abdullah b. Zayd b. Saleb und Omar b. al-Chattab entstand der Wortlaut des Gebetsrufes. Seitdem betrachtet die Mehrheit der Anhänger der hanafitischen Tradition das Ausrufen des Adhan als eine religionsdienstliche Praxis, die ununterbrochen als Teil ihrer religiösen Identität weitergeführt wurde und auch werden soll.
Die Kontinuität des religionspraktisch begründeten Gebetsrufes stellt keine gesellschaftliche Verpflichtung dar, sondern muss je nach Kontext zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteuren ausgehandelt werden. Dabei müssen Moscheen, die in ländlichen oder in industriellen Gebieten liegen, und solche, die zum Stadtbild gehören und in der Stadtmitte liegen, jeweils angemessene und ihrer räumlichen Lage entsprechende Umsetzungsmöglichkeiten überlegen, wenn sie den Adhan im Freien ausrufen wollen. Auf keinen Fall soll es zur gesellschaftlichen Spaltung oder zu Polarisierungen kommen. Letztlich bleibt es den Gemeinden überlassen, die Möglichkeit abzuwägen, ob und wie man den Gebetsruf in der Öffentlichkeit verkündet. Das Grundrecht auf einen öffentlichen Gebetsruf bleibt erhalten, auch wenn eine Gemeinde sich entscheidet, den Adhan nur innerhalb seiner Räumlichkeiten zu praktizieren, um den Nachbarn entgegenzukommen.