Freitagspredigt

“Haya” oder das Schamgefühl der Gläubigen

بِسْمِ اللهِ الْرَحْمنِ الْرَحِيِم

يَا بَنِى اٰدَمَ قَدْ اَنْزَلْنَا عَلَيْكُمْ لِبَاسًا يُوَارِى سَوْاٰتِكُمْ وَريشًا وَلِبَاسُ التَّقْوٰى ذٰلِكَ خَيْرٌ ذٰلِكَ مِنْ اٰيَاتِ اللّٰهِ لَعَلَّهُمْ يَذَّكَّرُونَ


Bismillahirrahmanirrahim
[Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen]
“O ihr Söhne Adams! Wir gaben euch Kleidung, um eure Blöße zu decken und Prunkgewänder. Das Gewand der ehrfürchtigen Frömmigkeit aber, das ist besser. Dies gehört (diese Kleider gehören) zu den Zeichen der Barmherzigkeit Allahs. Auf dass sie sich ermahnen lassen (gaben Wir diese den Menschen).”

[Sure “Araf”, Vers 26]

Verehrte Muslime,

mit dem Begriff „haya“ werden in der islamischen Literatur Schamgefühl und Sittlichkeit beschrieben. Dieses hat, wer alle hässlichen Handlungen meidet, die seinem Verstand, seiner Religion, den Gesetzen des Menschen und der Zivilisation widersprechen. Es ist dem Menschen angeboren und unterscheidet ihn gleichzeitig von allen anderen Lebewesen. Denn unsere Religion definiert alle Benimmregeln eines Muslims, an die er sich halten muss, angefangen von seiner Kleiderordnung bis hin zu seinen Handlungen und Taten, über diesen Begriff. Zudem zeugt der Grundsatz „Schamgefühl ist ein Ausdruck des Glaubens“ [1] davon, dass  Schamgefühl als Teil der Religion erachtet wird. Im Koran heißt es hierzu: “O ihr Söhne Adams! Wir gaben euch Kleidung, um eure Blöße zu decken und Prunkgewänder. Das Gewand der ehrfürchtigen Frömmigkeit aber, das ist besser. Dies gehört (diese Kleider gehören) zu den Zeichen der Barmherzigkeit Allahs. Auf dass sie sich ermahnen lassen (gaben Wir diese den Menschen).” [2] Unser Prophet Muhammad (s.a.w.), bei dem das Schamgefühl sehr stark ausgeprägt war, [3]  maß seinem Gefährten Osman (r.a.) einen hohen Stellenwert bei, denn auch bei ihm war diese Tugend stark ausgeprägt. Als er nach dem Grund hierfür gefragt wurde sagte er, dass selbst die Engel Schamgefühl vor ihm hätten. [4]

Verehrte Brüder und Schwestern,

„haya“ oder Schamgefühl zu besitzen bedeutet nicht, sich nur aus gesellschaftlichem Druck gut zu benehmen oder weil die Gesetze es so verlangen und man Angst vor einer Bestrafung hat. „Haya“ bedeutet vielmehr, dass man sich selbst und seinem Schöpfer gegenüber selbst dann Respekt erweist und benimmt, wenn man für sich alleine ist. „Haya“ bedeutet demnach, dem Grundsatz: „Auch wenn wir ihn nicht sehen, so sieht Er uns“ [5]  folgend uns stets in Erinnerung zu halten, dass wir nicht alleine sind.

Insbesondere muss an dieser Stelle auf Folgendes hingewiesen werden: Schamgefühl und Sittsamkeit bzw. auch Keuschheit (iffet), die allesamt für moralische Reinheit, charakterliche Standhaftigkeit, Ehre sowie das Fernbleiben von Handlungen stehen, die der Religion und dem guten Benehmen zuwiderlaufen, werden nicht nur Frauen abverlangt. Sie sind allen Muslimen auferlegt, egal ob Mann oder Frau.

Schamgefühl gegenüber Gott drückt sich in der Befolgung seiner Ge- und Verbote aus. So sagte unser Prophet (s.a.w.) dereinst: „Habt Schamgefühl vor Allah, so wie es sich Ihm gebührt!“ Die Gemeinde fragte: „O Gesandter Allahs! Wie können wir Allah gegenüber Schamgefühl zeigen?“ Der Prophet antwortete daraufhin: „Wer seine Zunge, sein Auge, sein Ohr, seinen Bauch und was an ihm anhängt (sein Geschlechtsorgan) hütet, sich nicht im Weltlichen verliert und den Tod nicht vergisst, wird Schamgefühl vor Allah gezeigt haben, wie es sich für Ihn gebührt.“ [6]

Verehrte Gläubige,

“Er ist mit euch, wo auch immer ihr seid!” [7] heißt es im Koran. Ein Mensch, der nun Schamgefühl besitzt und gutes Benehmen, wird sein Leben entsprechend dieses Verses und im Bewusstsein um sein Dasein als Diener Allahs gestalten. Ein Mensch ist in dem Maße Mensch, in dem er den Regeln der Sittsamkeit folgt wie beschrieben.

[1] Buchari, “Iman”, 16;  Muslim, Sahih, “Iman”,12, Hadis Nr. 59.
[2] Araf  7/26.
[3] Buchari, “Edep”, 73.
[4] Muslim, “Feza’ilu’s-Sahabe”, 26.
[5] Buchari “Iman”, 37, Muslim “Iman”, 9,10,11.
[6] Tirmizi, Sunen, Qiyama, 23, Hadis Nr. 2457.
[7] Hadid 57/4.

Abdullah Demircan
Religionsbeauftragter der Moschee in Wuppertal

2011-07-22    


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