Freitagspredigt

Die Hidschra

بِسْمِ اللهِ الْرَّحمَنِ الْرَّحِيمِ

اَلَّذِينَ اٰمَنُوا وَهَاجَرُوا وَجَاهَدُوا فِي سَبِيلِ اللّٰهِ بِاَمْوَالِهِمْ وَاَنْفُسِهِمْ اَعْظَمُ دَرَجَةً عِنْدَ اللّٰهِ وَاُولٰئِكَ هُمُ الْفَائِزُونَ


Bismillāhirrahmānirrahīm

[Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen]
“Gläubige, die für Allah auswandern und sich unter Einsatz ihres Besitzes und ihres Lebens für Seine Sache mühen – sie haben einen gewaltigen Rang bei Allah. Und sie werden es sein, die zu den Siegern gehören.”

[Sure Tawba, Vers 20]

Verehrte Gläubige,

Allah sandte uns Propheten, auf dass sie den Menschen Seine Gebote künden und sie damit auf den rechten Weg leiten. Fast alle diese Propheten haben auf irgendeine Weise Leid und Unterdrückung erfahren. Manche von ihnen wurden umgebracht, andere dazu gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und auszuwandern. Oder von der Gesellschaft, in der sie lebten, diskriminiert und derart unter Druck gesetzt. Dabei waren sie für ihre jeweilige Gesellschaft gesandt als Quell der Barmherzigkeit und des Erbarmens.

Gerade unser Prophet Muhammad (saw) war als Barmherzigkeit für die ganze Menschheit gesandt. Er forderte die Menschen dazu auf, sich von der Vielgötterei, der Unbarmherzigkeit und Tyrannei abzuwenden und Gott nicht zu leugnen, sondern Ihm allein zu dienen. Er lud sie ein zu Gerechtigkeit, zu Barmherzigkeit und zu menschlichen Werten.

Die heidnischen Mekkaner jedoch brachten dem Künder dieser Botschaft nur Grausamkeiten entgegen. Statt sich ihm und seiner Botschaft zu öffnen und damit wieder menschliche Werte anzunehmen, haben sie ihn diskriminiert. Ihm sogar nach dem Leben getrachtet. Als er merkte, dass er unter diesen Umständen seinem Verkündungsauftrag nicht mehr nachkommen konnte, beschloss er im Jahre 622, von Mekka auszuwandern und sich in Medina niederzulassen. Mit diesem einschneidenden Ereignis der Auswanderung - der Hidschra - sollte später die islamische Zeitrechnung beginnen.

Verehrte Muslime,

die Hidschra gilt als Befreiungsschlag für den Islam, mit dem dieser endgültig sein und sich verbreiten konnte. Denn in dieser neuen Umgebung war den Muslimen die Möglichkeit gegeben sich zu formieren und aufzusteigen zu einer lokalen Macht, die sich als solche auch behaupten konnte.

Sie, die Hidschra, steht damit für den mühseligen Einsatz hierfür: für das Auswandern und Zurücklassen all dessen, was uns lieb und teuer ist, um des Wohlgefallen Allahs willen: das Aufgeben von Hab und Gut, der Heimat sowie der Eltern, ja vielleicht sogar der Kinder, um den Willen Allahs zu erfüllen.

Sie steht für die Umkehr der Finsternis in Licht. Und sie steht für die Entfaltung dieses Lichts. Und der Beitrag für eben diese Umkehr findet bei Allah seinen entsprechenden Lohn. So heißt es hierzu im Koran: “Gläubige, die für Allah auswandern und sich unter Einsatz ihres Besitzes und ihres Lebens für Seine Sache mühen – sie haben einen gewaltigen Rang bei Allah. Und sie werden es sein, die zu den Siegern gehören.” [1]

Und zur Hidschra gehören weitere zentrale Begriffe, die mit diesem Ereignis unweigerlich verbunden sind. So muss man beim Begriff der Hidschra auch denken an die „Muhadschirūn“, die Auswanderer aus Mekka. Oder aber die „Ensār“, die Muslime und Helfer in Medina, die in ihrer Hilfe und Unterstützung für ihre zugezogenen Brüder so weit gehen konnten, dass sie sie sich selbst vorzogen. Und damit an die beispiellose „Brüderlichkeit“ und selbstlose „Aufopferungsbereitschaft“. Die Hidschra steht damit für einen legendären Einheit und Zusammenhalt. Für das Wort halten, das Teilen, für die Suche nach Gerechtigkeit, Respekt und Akzeptanz. Das Beispiel der Hidschra zeigt uns damit auch, dass Muslime bereit sein sollten, jeden Preis dafür zu zahlen, damit sie in Freiheit leben und ihren Glauben leben können.

Verehrte Brüder und Schwestern,

auch für den Menschen der Gegenwart bietet die Hidschra viele Lehren. So findet der Mensch nur wieder zum Licht, wenn er abstreift das, was ihn zerstört: seinen Egoismus, seine Habsucht und Profitgier, sein ungerechtes Handeln. Und stattdessen sich wieder zuwendet der Brüderlichkeit, der Selbstlosigkeit und insgesamt den menschlichen Werten, die mit der Hidschra wieder zu Leben erwachten.

Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass auch die Hinwendung der sündenbeladenen Herzen zum Gehorsam und zum Gottesdienst uns eine Hidschra ist.

[1] Tawba, 9/20.


Dr. Ersan ÖZTEN
Religionsbeauftragter der DITIB Eyüp Sultan Moschee in Nürnberg
2012-11-16    


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