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2025-12-16 | Pressemeldung

„30 Jahre nach dem Genozid in Srebrenica – 11 Lektionen für die Zukunft“ Gedenk- und Bildungsveranstaltung in der Zentralmoschee Köln

Am Samstag, 13. Dezember 2025, veranstaltete das MoscheeForum der Zentralmoschee Köln gemeinsam mit dem DITIB-Bundesverband und der Islamischen Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland (IGBD) einen mehrstündigen Gedenk- und Bildungsabend unter dem Titel „30 Jahre nach dem Genozid in Srebrenica – 11 Lektionen für die Zukunft“. Im Mittelpunkt standen die Wanderausstellung „Genozid in Srebrenica: 11 Lektionen für die Zukunft“, spirituelle Elemente, Poesie, Fachvorträge und ein prominent besetztes Podium.

Spiritueller Auftakt: Koranrezitationen, Bittgebete und Hatim

Der Abend begann im Gebetssaal der Zentralmoschee Köln unmittelbar nach dem Abendgebet mit Koranrezitationen und Bittgebeten für die Opfer des Genozids von Srebrenica. In einer Atmosphäre der Stille und inneren Sammlung wurden die Namen der Opfer im Gebet bewusst mitgedacht und ihre Familien in die Bittgebete eingeschlossen.

Der DITIB-Bundesjugendverband hatte im Vorfeld einen vollständigen Koran-Hatim für die in Srebrenica Ermordeten rezitiert und widmete den Abschluss dieses Hatims dem Gedenken an diesem Abend. So wurde von Beginn an deutlich, dass die Veranstaltung nicht nur historisch-politischen Charakter trägt, sondern in besonderer Weise spirituelle Verantwortung, Trauer und Solidarität zusammenführt.

„Schleuse der Erinnerung“: Weg durch die Ausstellung

Im Anschluss betraten die Gäste nicht direkt den Konferenzsaal, sondern gingen bewusst durch die Srebrenica-Ausstellung, die als eine Art „Schleuse der Erinnerung“ gestaltet war. Auf Tafeln und Bildern wurden Hintergründe zum Bosnienkrieg, der Ablauf des Genozids, die juristische Aufarbeitung sowie Stimmen von Überlebenden dargestellt. Der Weg durch die Ausstellung sollte verdeutlichen: Alles, was im Konferenzsaal gesagt und diskutiert wird, steht auf dem Boden dieser konkreten Geschichten, Gesichter und Schicksale.

Begrüßung durch das MoscheeForum: Gedenken als religiöser Auftrag

Im Konferenzsaal eröffnete Murat Şahinarslan, Direktor des MoscheeForums, den offiziellen Programmteil. In seiner einführenden Rede erinnerte er daran, dass im Islam jedes menschliche Leben als unantastbar gilt und verwies auf den Koranvers, in dem derjenige, der ein Leben zerstört, sinnbildlich so beschrieben wird, als hätte er die gesamte Menschheit getötet, während das Retten eines Lebens dem Retten der gesamten Menschheit gleichkommt.

Şahinarslan betonte, dass das Gedenken an Srebrenica für Musliminnen und Muslime nicht nur ein historisches und politisches, sondern vor allem ein religiöses Anliegen sei. Er verwies auf die vielen Orte der Welt, an denen bis heute Kinder, Mütter und ältere Menschen durch Krieg und Machtkämpfe sterben, und machte deutlich, dass ein Abend wie dieser dazu beitragen soll, eine wache, barmherzige und verantwortliche muslimische Präsenz in Deutschland zu stärken.

Grußwort des DITIB-Bundesvorsitzenden: Gemeinsame Geschichte – gemeinsame Verantwortung

Als Hausherr begrüßte im Anschluss der neue DITIB-Bundesvorsitzende Ramazan Ilıkkan die Anwesenden. In seiner Rede hob er hervor, dass das heutige muslimische Leben in Deutschland wesentlich durch zwei historische Bewegungen geprägt ist: durch die türkischstämmigen Gastarbeiterfamilien seit den 1960er Jahren und durch die bosniakischen Musliminnen und Muslime, die in den 1990er Jahren vor Krieg und Vertreibung nach Deutschland geflohen sind.

Ilıkkan erinnerte daran, wie intensiv die DITIB-Gemeinden den Bosnienkrieg damals miterlebt haben: Spendenaktionen, besondere Freitagsgebete, Bittgebete für Bosnien und Solidaritätskundgebungen prägten diese Zeit. Er unterstrich, dass DITIB die Entstehung und Institutionalisierung der bosniakischen Gemeinden und der IGBD von Beginn an aktiv begleitet habe – organisatorisch, spirituell und menschlich. Diese Verbundenheit sei keine formale Kooperation, sondern Ausdruck einer gelebten Brüderlichkeit in der Umma.

Zugleich blickte er in die Zukunft und formulierte den Anspruch, dass „Islam in Deutschland“ eine konstruktive Kraft sein müsse – eine Kraft der Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, des Dialogs und einer klaren Haltung gegen Unrecht. Moscheen seien nicht nur Orte des Rituals, sondern auch Orte der Bildung, der Erinnerung und der gesellschaftlichen Verantwortung. Die Gedenkveranstaltung und die Ausstellung verstehe man als Beispiel dafür, wie muslimische Gemeinden Verantwortung für Erinnerungskultur und Menschenrechte übernehmen können.

Grußwort der IGBD: Erinnerungskultur und „11 Lehren für die Zukunft“

Im Anschluss daran sprach Aldin Kusur, Hauptimam der IGBD. Er dankte DITIB, dem Bundesvorsitzenden Ramazan Ilıkkan sowie dem MoscheeForum ausdrücklich für die gemeinsame Organisation der Gedenkveranstaltung zum 30. Jahrestag des Völkermords in Srebrenica.

Kusur unterstrich, dass diese Ausstellung nicht nur für die bosniakische Community, sondern für die gesamte Gesellschaft von Bedeutung sei: „Diese Ausstellung ist in erster Linie wichtig für die Schaffung einer Erinnerungskultur, aber noch wichtiger für ein tieferes Verständnis der Gegenwart und der Zukunft. Daher trägt die Ausstellung zusammen mit dem gesamten Programm den Titel „‚11 Lehren für die Zukunft‘.“

Er machte deutlich, dass Srebrenica für Bosniakinnen und Bosniaken bis heute eine offene Wunde darstellt und gleichzeitig ein Prüfstein dafür ist, wie ernst europäische Gesellschaften es mit den viel beschworenen Werten von Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit und Minderheitenschutz meinen.

Poesie: Weißer Schmetterling und Stimme einer Überlebenden

Einen zentralen emotionalen Akzent setzten die poetischen Beiträge.

Beyza Tiryaki, MoscheeGuide der Zentralmoschee, trug ein eigens für diesen Abend verfasstes Gedicht vor. Darin verarbeitete sie ihre persönlichen Eindrücke von einem Besuch in Srebrenica. Im Mittelpunkt ihres Textes stand das Bild eines weißen Schmetterlings, den sie dort gesehen hatte. An diesem Motiv entlang erzählte sie von der Zerbrechlichkeit des Lebens, von unschuldigen Opfern und von der Hoffnung, dass aus dem Leid neue Verantwortung erwächst. Der weiße Schmetterling wurde zum Symbol für die Seelen der Verstorbenen und für die leise, aber bleibende Präsenz ihrer Geschichte.

Im Anschluss las Farah Fazlibegović aus dem IGBD-Jugendnetzwerk ein Gedicht einer Überlebenden von Srebrenica vor. Die Worte der Überlebenden schilderten Angst, Verlust und Trauer aus der Ich-Perspektive und machten deutlich, wie tief die Erlebnisse von Gewalt und Flucht in Biografien eingeschrieben sind. Viele Zuhörerinnen und Zuhörer beschrieben die Gedichte im Nachhinein als einen Moment, in dem „die Geschichte plötzlich ganz nah“ wurde. 

Fachvorträge: Wissenschaftliche Einordnung und Perspektive aus Srebrenica

Den analytischen Rahmen des Abends bildeten zwei Fachvorträge.

Dr. Hikmet Karčić, Genozidforscher, ordnete den Genozid von Srebrenica historisch und politisch ein, beschrieb die Eskalation der Gewalt im Bosnienkrieg sowie die Rolle internationaler Akteure. Er betonte, dass Gerichte wie der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) den Völkermord von Srebrenica eindeutig anerkannt haben und dass diese juristische Einordnung auch im öffentlichen Bewusstsein verankert bleiben müsse.

Mit Blick auf die Ausstellung in Köln sagte Dr. Karčić, die Eröffnung dieser Ausstellung sei ein „äußerst wichtiger Moment sowohl für die bosniakische Diaspora als auch für die deutsche Öffentlichkeit“. Er freue sich besonders darüber, dass die Ausstellung ins Deutsche übersetzt und das gesamte Programm auf Deutsch umgesetzt wurde, da dies ein entscheidender Schritt sei, um die Botschaften von Srebrenica einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Es sei eine fortwährende Pflicht, sich noch stärker dafür einzusetzen, dass die Lehren von Srebrenica klar und verantwortungsvoll vermittelt werden, um die Erinnerung an den Völkermord zu bewahren und sein Vergessen zu verhindern.

Damir Peštalić, Hauptimam aus Srebrenica, brachte die Perspektive aus der heutigen Realität vor Ort ein. Er berichtete von der seelsorgerlichen Arbeit mit Überlebenden, Rückkehrern und den Angehörigen der Opfer, von der Spannung zwischen Gedenkstätte, Alltagsleben und wirtschaftlichen Herausforderungen. Peštalić machte deutlich, wie sehr Glaube, Gemeinschaft und religiöse Praxis den Menschen helfen, mit dem Trauma zu leben, und wie wichtig internationale Solidarität für die Menschen in Srebrenica bis heute ist.

Podiumsdiskussion: Erinnerung, Verantwortung und muslimisches Leben in Europa

In der anschließenden Podiumsdiskussion sprachen Dr. Hikmet Karčić, Damir Peštalić, Nedžad Osmić, Rafet Öztürk und Adem Hasanovic über Erinnerungskultur, Gerechtigkeit und muslimisches Leben in Europa.

  • Nedžad Osmić brachte als Überlebender des Genozids seine persönliche Perspektive ein. Er schilderte eindrücklich, wie er als junger Mensch den Zusammenbruch der UN-Schutzzone erlebte und wie er den sogenannten Todesmarsch aus Srebrenica über Tage hinweg selbst durchstehen musste – geprägt von Angst, Gewalt, Verlusten und dem Gefühl, jederzeit getötet werden zu können. Seine Worte machten deutlich, dass Srebrenica nicht nur eine historische Kategorie ist, sondern ein persönlich erlittener Schrecken, der bis heute nachwirkt.
  • Adem Hasanovic, Initiator der Zusammenarbeit für die Ausstellung in Köln, moderierte das Podium. Er hob hervor, wie wichtig es ist, dass große Moscheegemeinden und islamische Verbände konkret Räume, Strukturen und Ressourcen zur Verfügung stellen, damit Erinnerung sichtbar und zugänglich wird. Nur so könne die Geschichte von Srebrenica auch in der breiten muslimischen Community und darüber hinaus präsent bleiben.
  • Rafet Öztürk und die weiteren Panelteilnehmer reflektierten die Verantwortung muslimischer Gemeinden in Deutschland, Srebrenica nicht als „bosnische Angelegenheit“, sondern als Teil einer gemeinsamen europäischen und muslimischen Geschichte zu begreifen. Einigkeit bestand darin, dass die Lehren von Srebrenica – Wachsamkeit, klare Benennung von Unrecht, Schutz von Minderheiten und Einsatz für Menschenrechte – für alle gelten.

Hintergrund: Bosnienkrieg und Genozid von Srebrenica

Der Genozid von Srebrenica ereignete sich im Rahmen des Bosnienkrieges, der von 1992 bis 1995 dauerte und nach aktuellen wissenschaftlichen Erhebungen rund 100.000 Todesopfer forderte; über 2,2 Millionen Menschen wurden vertrieben oder mussten fliehen. Die Stadt Srebrenica war von den Vereinten Nationen zur „Schutzzone“ erklärt worden, konnte jedoch im Juli 1995 nicht vor der Einnahme durch die bosnisch-serbischen Truppen geschützt werden. In den folgenden Tagen wurden mehr als 8.000 bosniakische Jungen und Männer systematisch ermordet; eine zentrale Opferliste nennt 8.372 namentlich erfasste Getötete

Die Leichen der Opfer wurden in zahlreichen Primär- und Sekundärmassengräbern verscharrt und teilweise mehrfach umgebettet, um die Spuren der Verbrechen zu verwischen. Durch forensische Arbeit und moderne DNA-Analysen konnten bislang nahezu 7.000 individuelle Opfer identifiziert und ihren Familien zur Bestattung übergeben werden – ein Prozess, der bis heute andauert. 

Spiritueller Abschluss und Ausblick

Den Abschluss des Abends bildeten erneute Koranrezitationen und Bittgebete, vorgetragen von Ayhan Bekiroğlu und Gökhan Uygun. In den Duʿā wurden die Seelen der Opfer, ihre Angehörigen, alle von Krieg und Vertreibung Betroffenen weltweit sowie die Anwesenden selbst in die Barmherzigkeit Allahs eingeschlossen.

Das MoscheeForum und die Veranstalter dankten allen Referenten, Mitwirkenden, Ehrenamtlichen und Gästen. Besonders hervorgehoben wurde der Einsatz der DITIB- und IGBD-Jugend, der Moscheeguides sowie der vielen Helferinnen und Helfer im Hintergrund, ohne die die Veranstaltung und der Aufbau der Ausstellung in dieser Form nicht möglich gewesen wären.

Die Wanderausstellung „Genozid in Srebrenica: 11 Lektionen für die Zukunft“ ist weiterhin bis zum 8. Januar 2026 im Ausstellungssaal der Zentralmoschee Köln (gegenüber dem Gebetssaal) zu sehen und kann von Einzelpersonen, Familien, Schulklassen und Gruppen besucht werden.

Impressionen: