Freitagspredigt


Die Wut unterdrücken

بِسْمِ اللهِ الْرَّحْمَنِ الْرَّحِيمِ

الَّذِينَ يُنْفِقُونَ فِي السَّرَّاءِ وَالضَّرَّاءِ وَالْكَاظِمِينَ الْغَيْظَ وَالْعَافِينَ عَنِ النَّاسِ وَاللهُ يُحِبُّ الْمُحْسِنِينَ

Bismillāhirrahmānirrahīm
[Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen]
“Sie (die Muttaqīn) sind diejenigen, die in Zeiten der Fülle wie der Knappheit ausgeben (für Allah). Die ihren Zorn unterdrücken und den Menschen vergeben. Und Allah liebt die Muhsinīn (die Gutes tun).”

[Sure Āl Imrān, Vers 134]

Verehrte Muslime,

der Mensch ist das edelste der Geschöpfe Allahs und gesandt auf die Erde, damit er geprüft werde. Nichts braucht er für dieses Erdenleben dann so sehr wie Seelenfrieden und Harmonie. Aber auch eine Atmosphäre des Vertrauens und der Zufriedenheit. Und diese stellen sich erst dann ein, wenn er hier, in seinem Erdenleben, den Islam und seine Botschaft auch so lebt, wie von diesen beschrieben. Nicht umsonst gibt sich unsere Religion den Namen “Islam”. In diesem Wort schwingen stets die Bedeutungen “Frieden”, “Geborgenheit” und “Heil” mit.

Wut, Hass und Gewalt greifen in letzter Zeit immer mehr um sich in der Gesellschaft. Formen dieser Auswüchse erleben wir entweder in unserem eigenen Umfeld, oder sie werden uns über die Medien zugetragen. Die Natur des Menschen ist nunmal zu Gefühlen veranlagt, die ihn hierzu verleiten können. Was nicht bedeutet, dass wir dies nicht unter Kontrolle halten zu haben und auch können. Ein Muslim, der die Lehren seiner Religion richtig verinnerlicht hat und den Regeln der Ethik folgt, wie sie der Koran beschreibt, wird seine Wut bestimmt unter Kontrolle halten und sich in Geduld üben können. Wie anschaulich ist hier doch folgender Hadis: “Der stärkste Ringkämpfer ist der, der seine Wut besiegt.” [1]

Verehrte Gemeinde,

oftmals resultieren Streit und Gewalt in einer Familie aus unkontrollierter Wut. Dieser heimtückische Virus macht manchmal vor nichts Halt. Er kann sich zwischen Eheleute genauso einnisten wie zwischen Eltern und Kind, zwischen Verwandte, Freunde und Nachbarn. Wenn es sie einmal befallen hat, zerstört es hier alles, was sich in seinen Weg stellt. Auf dass weder Liebe, noch Respekt mehr zwischen den Menschen verbleiben. Auf diesem Nährboden gedeihen dann Spannungen und Hass besonders gut. Und können so manche Schäden entstehen, die nicht mehr reperabel sind. Zerstörte Familien, verwaiste Kinder und allein zurückgebliebene Ehepartner - zu oft schon hat die Welt dies als Ergebnis einer unkontrollierten Wut erlebt.

Verehrte Muslime,

Wut und Gewalt sind keine Handlungen, mit denen man prahlen sollte. Denn starke und selbstbewusste Menschen sind stets ruhig und gelassen. Nur wer schwach und unvermögen ist, greift auf Gewalt zurück. Was können wir nun dagegen tun? Wie gelingt es uns, diesen Virus zu bekämpfen und uns zurückzuhalten von Taten, die wir später nur bitter bereuen würden? Wie retten wir unser Glück auf Erden und später im Jenseits? Indem wir zunächst nicht vergessen, dass wir hier auf Erden nur einer Prüfung wegen uns befinden! Sodann fahren wir das Geschütz der Geduld vor, um uns vor der Wut und ihren Auswüchsen zu wappnen. Ganz im Sinne der vielen Stellen im Koran, die geduldige und reife Menschen loben ob ihrer Geduld und ihrer Kontrolle über ihre Wut, mit der sie nicht zuletzt auch ihre fromme Ehrfurcht (taqwā) unter Beweis stellen. So z.B. in Sure Schuara, Vers 43: “Und wer auch immer sich gedulded und vergibt, siehe dies ist Sache von Größe und Stärke.”

Verehrte Muslime,

der Prophetengefährte Omar (r.a.) wusste eines Tages, als er zu Unrecht beleidigt wurde, folgende Antwort darauf: “Bei Allah! Ich kann dies sowohl mit meiner Hand als auch mit meinen Worten erwidern. Aber ich bin nun dem Islam beigetreten! Ich kann nun nicht mehr alles sagen, was mir in den Sinn kommt. Und auch nicht mehr alles machen, wonach mir ist. Ich glaube nunmehr an Allah und das Jenseits und weiß, dass ich mich dort eines Tages verantworten muss. Wenn dem nicht so wäre, sähe es anders aus!” [2] Denn Omar (r.a.) wusste um die Kunde des Propheten (saw), dass auf einen jeden, der auf einen Streit verzichtet, ein Haus im Paradies wartet. So konnte selbst Omar (r.a.), den die Chronisten in seiner Zeit vor dem Islam eigentlich als jähzornigen Menschen verzeichnen, äußerst vergebend und barmherzig werden und sich fortan der Gerechtigkeit verschreiben. So sollten wir nun alle in uns gehen und uns fragen, inwieweit sich bei uns der Glaube auf den Charakter auswirkt und diesen zügelt bei Bedarf!

Verehrte Gemeinde,

nicht nur, dass Wut und Jähzorn selbst eine schlimme Krankheit sind. Sie öffnen als solche auch Tür und Tor für so manch anderes Übel. So z.B. für Streit, für den Bruch zwischen zwei Menschen, für Hass, Vergeltungsgelüste, üble Nachrede, Tadel sowie allerlei übles Wort und ebenso üble Taten. Weder humane noch ethische Werte lassen sie den Menschen mehr kennen. Wut und Zorn - wenn diese Gefühle hochkommen - fegen über all diese Werte hinweg und lassen weder Freundschaft zurück noch Vertrauen zwischen den Menschen. Nicht umsonst redet der Volksmund hier von “blinder Wut”! Sind wir nun in einer solchen Situation und merken, dass die Wut in uns kocht, so sollten wir uns schnellstens zusammenreißen und diese mit unserer Geduld löschen. Denn Geduld ist die beste Medizin in einer solchen Situation. Flankiert noch von Bittgebeten, mit denen wir uns in den Schutz Allahs flüchten und Ihn um Seine Hilfe hierbei bitten.

Und so möchte ich meine Predigt heute beenden mit der ungefähren Bedeutung des Eingangsverses, der uns eben hierzu, zur Geduld in einer solchen Situation auffordert: “Sie (die Muttaqīn [die frommen Ehrfürchtigen]) sind diejenigen, die in Zeiten der Fülle wie der Knappheit ausgeben (für Allah). Die ihren Zorn unterdrücken und den Menschen vergeben. Und Allah liebt die Muhsinīn (die Gutes tun).” [3]

[1] Buchārī, Adab 76; Muslim, Birr 107.
[2] Ibn Mādscha, Zuhd, 18; Ibn Hanbal, I, 327, II, 128.
[3] Āl Imrān, 3/134.

Muammer Özbek
Religionsbeauftragter der DITIB Fatih Moschee in Düren

2012-12-14    


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